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Beyond Human

Wir befinden uns auf dem „Highway to Climate Hell“, warnte der UN-Generalsekretär António Guterres im November 2022. Die imperiale Lebensweise des fossilen Zeitalters fährt den Karren sprichwörtlich an die Wand. Zwei Grad? Oder doch vier Grad? Oder so viel mehr, dass die Rechenmodelle versagen und eine Welt entsteht, die wir uns kaum vorstellen können?

Um dem prognostizierten Verhängnis zu entgehen, reichen weder Klimaticket noch Flugscham.

Folgt man dem Vorschlag des Theoretikers Frédéric Neyrat, dann befinden wir uns nicht mehr im Anthropozän, sondern im Alienozän. Das von Neyrat betriebene Journal Alienocene zelebriert die Unvertrautheit mit der Umgebung. Es widmet sich den Begegnungen des Humanen mit dem Inhumanen und sympathisiert mit Aliens aus dem All und Exilant*innen auf unserem Planeten. Wir leben in einer Welt, in der Organisches und Synthetisches zusammenwachsen, in der von Militärs trainierte Adler Drohnen jagen und Steaks aus dem Labor kommen.

Müssen wir uns radikal neu entwerfen, um eine Zukunft zu haben? Sicher muss nicht nur über die Klimakrise unter kapitalistischen Bedingungen gesprochen werden, sondern auch über jene unheilvollen Parallelen zwischen kolonialen und ökologischen Einteilungen der Welt in Höheres und Niedrigeres. Die dadurch vermeintlich legitimierten Ausbeutungsverhältnisse korrespondieren mit dem Gegensatz von schützenswerter Natur (Nationalparks oder Haustiere) und rechteloser Natur (Fracking-Böden oder Schlachtvieh). Vielleicht brauchen wir nicht nur eine dekoloniale Ökologie, sondern eine bislang ungeahnte Vorstellung einer Welt voller In-telligenzen, die nicht nur in menschlichen Gehirnen und digitalen Maschinen, sondern auch in „denkenden Wäldern“ oder im „Internet der Tiere“ hausen.

Manche künstlerische Intelligenzen machen beim donaufestival 2023 Vorschläge dazu: Der Gitarrist Daniel Bachman verschmilzt in seinem am Festival als Film präsentierten Album Almanac Behind Folk-Improvisationen mit Field Recordings von Winterstürmen und Buschbränden, unterbrochen von Aufnahmen einer lokalen Wetterradiostation. Kim Noble schlüpft in seiner komischen Outsider-Performance in eine Vaterrolle für eine Made. Eglė Budvytytės Videoinstallation Songs from the Compost handelt von mutierten Körperbildern in Wald- und Dünenlandschaften. Das Kollektiv DISNOVATION.ORG entwirft ein hybrides Bestiarium des Anthropozäns und entwickelt Werkzeuge für eine Gesellschaft, die sich vom Fetisch des Wachstums verabschiedet hat. Die Religionsstifter*innen des Toxic Temple feiern Plastik verdauende Bakterien und beten den nuklearen Müll an. In solchen Szenarien beyond human finden sich Konturen eines ökologischen Miteinander des Verschiedenen. Dieses könnte die entpolitisierende Rede von der Rettung der Menschheit beerben, die so tut, als existierte eine solche ohne Konflikte und Diversität.


In Vorfreude auf ein spannendes Festival und ein Miteinander von uns allen,

 

Thomas Edlinger
Artistic Director donaufestival

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